Segeln von Panama nach Kolumbien

Erbrochenes in allen Farben oder: Segeln von Panama nach Kolumbien

In Mittelamerika, Reisespaß by shavethewhales25 Comments

Die Welle hebt unser Boot hoch, hält uns eine winzige Sekunde in der Luft, dann krachen wir zurück aufs Wasser. Jedes Mal hebe ich zusammen mit meiner Isomatte ein Stückchen ab und lande unsanft wieder auf der Küchenbank. Unter der Bank rollt bei jeder Seitwärtsbewegung eine Zwiebel hervor, platzt beim Aufprall mit dem Küchentisch ein Stück weiter auf, rollt zurück. Das ganze Boot riecht danach. Ich habe keine Kraft, sie über Bord zu schmeißen. Ich brauche beide Arme, um mich am Regal neben mir festzuhalten, sonst rolle ich von der Küchenbank. Alles, was wir vergessen haben, gut festzubinden, fliegt spätestens jetzt durchs Boot. Wenn hohe Wellen das Deck überspülen, gießt es aus der undichten Dachluke über mir auf meinen Schlafsack. Ein Gefühl, als würde man in einer Waschmaschine schlafen.

Ich blicke in die weißen Gesichter meiner Mitreisenden. Acht Backpacker, die naiv genug waren, mit einem 69-jährigen Captain auf ein 27-jähriges Boot zu steigen. Ein Boot, auf dem eigentlich nur Platz für 5 ist (deshalb schlafe ich auf der Küchenbank).

Aber Segeln durch die Karibik klang eben einfach zu gut, um an Übelkeit und nasse Schlafsäcke zu denken. Es fing auch gut an, wirklich. Das Warten am Steg von Portobelo, der Sonnenuntergang in Farben von Pfirsichbonbons und Himbeereis, die Papageien, die vorbeiflogen. Wir hätten misstrauisch werden können, als unser Captain merkte, dass er keinen Diesel mehr für sein Boot hatte und nochmal in die Stadt musste. Oder spätestens beim Geruch unter Deck, einer Mischung aus saurer Milch, nassem Hund und Turnhallenumkleide. Oder als wir im Waschbecken den abgeschnittenen Fußnagel fanden. Den Kühlschrank mit dem Blumenkohl, den man kaum noch fassen konnte, so schleimig war er. Aber wir wurden nicht misstrauisch und jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wir sind gefangen auf einem stinkenden, auseinander fallenden Segelboot und wir werden für lange Zeit kein Land um uns erblicken. Selbst vom Meeresboden trennen uns viel zu viele Meter Wasser.

Portobelo, Panama

Alles, was man von hier aus sieht, sind schwarze Wellenberge. Wenn ich nicht so viel Angst hätte, würde ich sie schön finden. Aber sie scheinen unser Boot mit aller Kraft umschmeißen zu wollen. Wer würde uns dann retten? Unser Leben hängt am Können von Captain Lawrence, der das Ruder auf Autopilot gestellt hat und schlafen gegangen ist. Der Rest der Crew liegt wach und versucht, sich nicht allzu oft übergeben. Nicht an die Bordtoilette zu denken, die bei starkem Seegang überschwappt. Und schon gar nicht daran, dass dies gerade mal die Erste von vier Nächten auf offener See ist.

Captain Lawrence ist ein Mann voller Altersflecken und tiefen Falten. Amerikaner, aber seit Jahren überall auf der Welt per Boot unterwegs. Was sich für mich gerade wie die Hölle anfühlt, ist für ihn ein in Erfüllung gegangener Traum. Wenn er redet, dann eigentlich nur von seinem Boot, der Spirit (seine Frau erwähnt er erst viel, viel später). Mit ihr fährt er Reisende von Panama nach Kolumbien, die beiden schließen das Darien Gap, die Lücke in der Straße von Nord- nach Südamerika. Wer mit ihnen fährt, hat kein Geld für den Flug und keine Ahnung von den Gefahren eines Segeltörns.

Die Nacht der Übelkeit dauert ewig, erst morgens beruhigt sich das Meer. Die Spirit gleitet über einen glitzernden, friedlichen Teppich. Kann das sein, dass das das gleiche Meer wie heute nacht ist? Neben uns springen Delfine Saltos und Schrauben. Wir fahren an winzigen Inseln vorbei, auf denen nichts als eine Palme steht. So in etwa hatte mein Drehbuch von einer Karibiksegelreise ausgesehen.

San Blas, Panama

Wir erreichen die San Blas Inseln, springen ins Meer, schwimmen durch Fischschwärme, so grell neonfarben, dass sie unecht aussehen. Kuna Indianer verkaufen uns Fisch, den wir auf einer der Inseln überm Lagerfeuer grillen. Die Übelkeit im Bauch verschwindet, die schlaflose Nacht ist vergessen. Nur wenn wir vom Schnorcheln zur Spirit zurückschwimmen, sehen wir das Erbrochene, das noch an der Schiffswand klebt. Wir können den Farben nach zuordnen, von wem es ist. Und wir lachen, denn wir wissen nicht, dass in den nächsten Tagen der Bordcomputer sowie der Strom ausfallen werden. Dass Captain Lawrence nachts mit einer winzigen Taschenlampe das ganze Boot vergeblich nach eine Seekarte durchsuchen wird. Und dass er währenddessen uns ans Steuer stellen wird, die wir alle noch nie gesegelt sind. Aber das ist eine andere Geschichte…

Und, um das mal vorwegzunehmen, wir sind alle heile in Cartagena angekommen, wenn auch schwer komatös von den durchwachten Nächten, kaum noch gehfähig und um ein paar Kilo leichter (an Essen war auch an den anderen Tagen nicht zu denken). Segeln von Panama nach Kolumbien kann ich nicht wirklich empfehlen, wer doch fahren will, sollte das in der sturmfreien Saison tun.

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Comments

    1. Author

      Auf diesem Trip leider nicht, da habe ich mich nachts kaum an Deck getraut, um nicht weggespült zu werden. Aber ich habe es ein paar Monate danach in Mexiko vom Strand aus gesehen, zählt das auch? :)

      1. Ich denke das zählt auch :-)! Es gibt ja schließlich kaum schönere Naturphänomene. Wo geht es als nächstes hin?

        1. Author

          Kerala, Indien. Übrigens auch wieder inklusive Bootstrip, man muss ja allen Dingen eine zweite Chance geben…

  1. Dann wünsche ich dir mal Mast- und Schotbruch! (Viel Glück)

  2. Einfach unglaublich, zum totlachen und Haare zu Berge stehen. Wie konntest du nur wieder an Bord gehen? Mir wird schon schlecht beim lesen…..

    1. Author

      Tja, eine Verzweiflungstat, zu der mich das ewige Warten auf ein Boot in Panamacity trieb (solche Touren kann man nicht vorher buchen, man muss auf Aushänge in den Hostels warten) und ein schon gebuchter Flug von Kolumbien aus, den ich nicht verpassen wollte.

  3. Ui, ja – mir wird auch etwas übel beim Lesen ;-)… andererseits sehen die Fotos vom türkisfarbenen Meer und den Palmen zu verführerisch aus!

    1. Author

      Es gibt auch Touren nur auf die San Blas Inseln, da muss man zwar auch aufs Boot, aber immerhin nicht so lange :)

  4. Love it! Deinen Bericht genauso wie die Bootsfahrt selbst, mit der ich in Cartagena und Panama geliebäugelt hatte. Irgendwann muss ich das auch noch machen. LG, Madlen

    1. Author

      Danke, liebe Madlen. Ich drück die Daumen, dass es bei dir weniger schaukelt :)

  5. Cartagena de Indias, Cartagena de mar…

    Super Bericht!

    Grüße

    Mauricio

  6. Ach herrje, das wäre ja überhaupt nichts für mich :D mir wird schlecht sobald sich ein Boot auch nur ein Stückchen seitlich bewegt, wie ich leider in Ecuador feststellen musste als alle Bootsinsassen balzende Wale beobachteten und ich kotzend über der Reling hing ;)

    Toll geschrieben und wunderwunderschöne Fotos!

    1. Author

      Danke, Stefanie. und tja, kenn ich :) Schade, dass Reisen so viele Bootsfahrten mit sich bringt…

  7. Bewegend! Besonders, wenn Du beim Lesen überlegst, ob Du es auch wagen solltest. Wann warst Du denn unterwegs? Danke und lg aus Costa Rica

    1. Author

      Hallo Sally, danke :) Im Februar 2011 war ich da, ist also schon eine Weile her

  8. Pingback: Die schönsten Inseln der Welt - Tipps von 10 Reisebloggern - Reiseblog Gecko Footsteps

  9. Crazy Story!!! Aber da gibt es doch bestimmt auch bessere Schiffe? Wann ist denn die „sturmfreie Saison“? Ich lande in 2 Wochen in Panama und wollte eigentlich nach Cartagena segeln…
    LG

    Marvin

    1. Author

      Hey Marvin,
      dann wärst du etwas später als ich unterwegs, vielleicht ist es um die Zeit schon besser, frag am besten die Locals in Panama City. Es gibt sicher bessere Schiffe, aber zu der Zeit war es ganz schwierig, überhaupt an einen Platz auf dem Schiff zu kommen und wir saßen schon länger in Panama fest, da ist man dann oft nicht mehr wählerisch. Gute Reise dir!

  10. Hallo Caroline, hallo ihr anderen…
    Das Segeln oder Boot fahren von Panama Richtung Kolumbien birgt IMMER gewisse Risiken. Zum einen fährt man immer gegen den vorherrschenden Passatwind (Ost-Nordost), also gegen Wind und Welle, zweitens ist dieser Abschnitt eines der berüchtigsten Seegebiete der Welt. Grund ist die steil ansteigende Küste in Form einer Bucht, in die Wind und Welle des Atlantiks hereindrücken. Hier können sich bei entsprechenden Verhältnissen sehr hohe Wellen auftürmen.
    Das weiss man aber als Skipper, wenn man den Törn plant. Empfehlen kann ich bedenkenlos die Stahlratte, ein großes deutsches Stahlsegelschiff, die permanent auf dieser Route „den Darien Gap“ überbrückt und Backpacker, aber auch Motorräder mitnimmt. (www.stahlratte.de). Die San Blas – Guna Yala sind auf jeden Fall eines der letzten Paradiese dieser Erde und absolut sehenswert, bevor auch sie restlos untergehen… Ich war von Dezember bis Ende Januar in diesem Revier als Skipper einer Segelyacht unterwegs. Wer gerne Infos hätte, wie man dort hin kommt (auch ohne Segelboot von Panama aus) und was es dort so sehenswertes gibt, kann mich gerne fragen. Auf meinem Blog http://www.midlifereise.de habe ich auch ein paar Videos eingestellt… So ein Segelabenteuer kann auch total entspannend und toll sein, glaubet mir! ;-)

    1. Author

      Hallo Holger, vielen lieben Dank für die Tipps, ich hoffe dass sie hier noch vielen weiterhelfen werden :)

  11. Pingback: Als Frau allein durch Mittelamerika; die größten Gefahren - Shave the whales Reiseblog

  12. Ich habe Tränen gelacht über diesen Beitrag. Vor Freude und gefühlt auch ein wenig Angst. Der Text ist so gut geschrieben, gleichzeitig aber auch so ergreifend, dass ich mich soeben entschieden habe den Törn abzusagen. Ich befinde mich zwei Tage vor Abfahrt und hier kommt ein Sturm nach dem anderen auf, dass ich nun auf gar keinen Fall auf offener See sein möchte mit einem viel zu vollen catamaran und einem Skipper, wo es nicht die besternt Erfahrungswerte gibt. Ich werde nun die speedboat Variante bevorzugen um mir die nächtlichen Atlantik Stürme zu ersparen. Vielen Dank für diesen tollen Einblick 👍

    1. Author

      Liebe Steffi, danke für die lieben Worte und ich glaube, es war eine gute Idee, aufs Speedboot umzusatteln :) Manchmal muss man da mehr auf sein Gefühl hören und vielleicht sparst du dir so ein paar Nahtod-Erlebnisse…Ich hab´s wirklich ziemlich bereut, mich vorher nicht besser informiert zu haben. Ich wünsche dir eine wunderbare Reise!

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