Beerdigung Sulawesi

Indonesien, Sulawesi: Beerdigung zwischen Gedärmen und Blutlachen

In Asien by shavethewhales11 Comments

Es ist das Erste, was man gefragt wird, wenn man in Rantepao aus dem Bus steigt: „Willst du zur Beerdigung?“ Mehrere Guides stehen vor uns und wollen uns begleiten. Auf Beerdigungen ist man als Tourist gern gesehen, als Geschenk braucht man eine Tüte Zucker oder eine Stange Zigaretten und schon darf man mitfeiern. Richtig: Feiern. Trauern kann man das, was die Toraja hier machen, nicht nennen.

Das ganze Dorf kommt zusammen, versammelt sich auf Tribünen, tanzt, trinkt und speist. Beerdigungen ziehen sich über mehrere Tage hin und sie sind teuer, die Menschen hier sparen ihr Leben lang dafür. Büffel im Wert eines Mercedes werden geschlachtet, je mehr, desto besser, desto mehr Ansehen genießt die Familie des Verstorbenen. Genau das ist der Grund, der mich zweifeln lässt, ob ich Teil des Ganzen werden will. Ich bin überzeugte Vegetarierin und Tiere sterben sehen geht mir sehr nah. „Ich will nur die Beerdigung, nicht das Büffelschlachten, geht das?“ „Klar“ grinst der Guide. Ich soll zum „Reception Day“ gehen, da würden die Leute nur empfangen und nicht schlachten.

Als wir am nächsten Tag auf den Guide warten, fahren pausenlos Pick-ups vorbei, die riesige Büffel und viele Menschen geladen haben. Die Büffel sind am Nasenring festgebunden, die Menschen stehen daneben. Sie alle wollen zur gleichen Beerdigung wie wir. Wir fahren vorbei an Reisterrassen und bunten Torajahäusern mit halbmondförmigen Dächern. Kinder spielen auf der Straße, ein Mann badet einen Kampfhahn in einer Zinnwanne.

Die Idylle wird abrupt unterbrochen, als wir aus dem Auto steigen. Das Schreien der Schweine schallt mir schon von Weitem entgegen, ich rieche Angstschweiß und Tierexkremente. Dann sehe ich sie. Die Schweine liegen gefesselt am Boden, Bambusfäden schneiden sich tief in ihre Haut. Stundenlang liegen sie da, ihr Schreien scheint nur mich zu stören. Auf dem Weg zu unseren Plätzen rutsche ich auf Blut aus und trete in Tiergedärme, die überall auf dem Boden verteilt liegen. Ich fange an zu zweifeln, dass heute nicht geschlachtet wird.

Wir übergeben unser Geschenk und bekommen Kekse und Tee gereicht. Ich kann nicht essen, meine Kehle ist wie zugeschnürt beim Anblick der Tiere, die geopfert werden sollen. Ein Pony, eine Hirschkuh, ein Meer von Schweinen, Wasserbüffel. Die Büffel sind ruhig, als hätten sie nicht verstanden, was ihnen blüht. Schweine scheinen da ein besseres Gespür zu haben, ihre Schreie sind herzzerreissend, sie klingen fast menschlich, während sie immer wieder in die Arena und anschließend wieder raus getragen werden. Ich sehe die Tänze der bunt verkleideten Menschen, sie haben sich Hahnenkämme und Büffelhörner aus Papier aufgesetzt, ihr Kriegsgeschrei schallt durch die Reihen. Mädchen mit künstlichen Wimpern, viel Schmuck und prachtvollen Gewändern ziehen an mir vorbei. Alte Männer sitzen im Kreis auf den Tribünen, rauchen, beraten sich. Die Familie der Verstorbenen hat sogar ein Filmteam engagiert, das alles festhält.

Während mir beim Blick auf die Schweine die Tränen kommen, grölen die Menschen um mich herum, jubeln, lachen, starren gebannt auf das Leid der Tiere. Sind das die gleichen Menschen, die mich sonst so freundlich bei sich aufgenommen haben? Die so mitfühlend waren, als ich mein Geld und meine Kreditkarten verlor? Wie kann das sein, dass sie jetzt kein Mitleid haben? Ich bin hilflos in meiner Wut. Will zu den Schweinen und sie losbinden. Will die Menschen um mich schütteln, bis sie zur Vernunft kommen. Und bin wieder an dem Punkt, an dem ich merke, dass von der europäischen Vernunft ausgehe. Das funktioniert hier nicht. Ich lebe in einem Land, in dem Tiere vermenschlicht werden, wo man Hunden Pullis anzieht und sie spazieren trägt. Und wo die gleichen Hundebesitzer jede Menge Fleisch aus Schlachthöfen beziehen, in denen die Tiere sicher nicht weniger grausam behandelt werden als hier. Ich weiß nicht, was besser ist, die europäische Doppelmoral oder das offene Bekenntnis der Indonesier, dass ihnen Tiere nichts bedeuten? Ein wichtiger Unterschied ist wohl noch, dass im Gegensatz zu Europa hier der ganze Büffel verwertet wird. Während bei uns nur Filet gegessen wird und der Großteil auf dem Müll landet. Vielleicht ist das doch noch ein Stück würdeloser als die Lust am Leid der Tiere, die ich hier sehe.

Trotzdem halte ich es hier nicht länger aus, ich habe genug gesehen und sage dem Guide, dass ich vorher weg will. Denn wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, unterstütze ich das Ganze auch selbst, als zahlender Tourist mit zu viel Sensationslust.

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Comments

  1. Schöner Beitrag! Habe ganz ähnliche Gedanken bezüglich der Tiere gehabt als ich in Indonesien war.
    Ich durfte auch einer öffentlichen Verbrennungszeremonie teilnehmen, die nur einmal alle fünf Jahre stattfindet. Dort wurden 30 Leichen von Menschen verbrannt, die sich kein besseres Begräbnis leisten können. Dazu wurden aber auch lebendige Hühner auf die Scheiterhaufen gesetzt.
    Alles für westliche Augen ziemlich brutal. Anderseits auch ehrlicher, weil wir hier gerne unsere Tiere in engen Ställen verstecken und hinter verschlossen Türen massenhaft umbringen.

    Indonesien war für mich auch insgesamt eine Hassliebe Erfahrung. Einerseits sehr nette Menschen, anderseits massive Umweltverschmutzung und Korruption.

    Hier meine Impressionen:
    http://awesomatik.com/2012/08/10/heaven-is-just-another-bali/

    1. Author

      Danke! Das klingt abgefahren, die Verbrennungszeremonie und das mit den Hühnern auch. Danke auch für die Bali Eindrücke, ich glaube, Indonesien fordert einen immer ziemlich heraus.

    1. Author

      :) wie beruhigend, dass ich nicht der einzige Schussel bin…

  2. Ich war in diesem Sommer auch auf Sulawesi und die Totenfeier in Tana Toraja hat meine Sinne ebenfalls ziemlich gefordert.

    Allerdings empfand ich es etwas weniger dramatisch, als du das geschildert hast. Bei mir lagen zwar auch tote Büffel rum. Aber die waren in einem separaten Bereich. Ich musste nie über Gedärme laufen und in Blutlachen ausrutschen. Da hast du vermutlich einen besonders krassen Tag erwischt.

    Bei der Einschätzung bin ich auch eher mit Ken einverstanden. Ich finde, Fleischesser sollten auch einmal hinsehen, wenn ein Tier geschlachtet wird. Das gehört nun einfach dazu, wenn man sich nicht vegetarisch ernähren will.

    Eine Lust am Blutbad habe ich allerdings nicht wirklich ausmachen können. Am ehesten noch bei den Touristen, die – wie ich – mit der Kamera auf das spritzende Blut zielten. Für die Einheimischen scheint mir das eher eine nötige und sinnvolle Tradition zu sein.

    Ohnehin geht es bei der Schlachtung ja nicht bloss um metaphyisische Beweggründe. Also nicht primär darum, die Götter zu besänftigen. Sondern es geht um eine Umverteilung des Reichtums. Der reiche Opa, der in meinem Fall beerdigt wurde, verteilte fast 30 Büffel ans Dorf. Da hat nun jeder für ein paar Wochen kostenlos Fleisch bekommen.

    Ich hab übrigens auch darüber geschrieben: (vorsicht hässliche Bilder!)
    http://oli.weltreiseforum.com/tana-toraja-zu-gast-bei-einer-traditionellen-bestattung/

    PS: Die Kreditkarte hab ich noch…

    http://oli.weltreiseforum.com/tana-toraja-zu-gast-bei-einer-traditionellen-bestattung/

  3. Author

    Bei den Beerdigungen wird´s sicher auch Unterschiede geben, dein Bericht hört sich nicht so nach Massaker an wie manch anderer. Und beim eigentlichen Blutbad war ich ja auch gar nicht dabei, aber ich frage mich schon, warum man Büffel langsam verbluten lässt oder Schweine stundenlang gefesselt am Boden liegen lässt, wenn es nur darum geht, Fleisch zu produzieren. Das ginge auch mit weniger Quälerei. Und dass die Schlachtung vor den Tribünen in einer Art Manege stattfindet, fand ich selbstredend.
    Ich weiß auch nicht, ob es nur um Umverteilung von Reichtum geht, viele Indonesier, die ich getroffen habe, haben das Ganze eher als zur Schau stellen von Reichtum empfunden.

  4. Pingback: Blogschau: Dezember 2013 | Weltreiseforum: Die Informationsquelle für Individualreisende

  5. Das mit dem langsam Verblutenlassen der Büffel stimmt so nicht ganz. Wenn der Schnitt sauber ausgeführt wird, verliert das Tier innerhalb von zehn Sekunden das Bewusstsein. (Blutleere im Hirn) Es sah nicht so aus, als würde das Tier wahnsinnig leiden. Ich denke ohnehin dass so ein Schnitt durch die Kehle nicht der schlimmste Tod ist, den man sich vorstellen kann. Vielleicht wäre ein Schuss etwas weniger schmerzhaft dafür aber schneller gewesen (bin mir da aber nicht einmal sicher), aber ich denke, wir müssen auch sehen, dass das Töten eines anderen Lebewesens nie ein besonders freundlicher Akt ist und notwenigerweise nicht besonders toll für ein Tier ist. Egal, wie man das anstellt. Als ein übermässiges Quälen sehe ich das nicht. Bei den Schweinen gebe ich dir allerdings vollkommen recht. Bei mir waren die aber auch nicht so festgebunden, wie auf deinen Bildern.

    Ich denke, die Gründe dafür, wieso die Torajas diese Bräuche erfunden haben, sind vermutlich sehr vielschichtig. Ich bin zwar von Haus aus Ethnologe, aber ich hab mich mit den Bräuchen nur ziemlich am Rande beschäftigt. Das zur Schau stellen von von Reichtum spielt sicherlich eine Rolle – vermutlich im modernen Kontext noch mehr als im ursprünglichen. Die Religion und metaphysische Vorstellungen gehören aber ebenso dazu wie die Umverteilung von Reichtum. Ich habe auch mit jemandem gesprochen, der das ganze System angesichts der hohen Preise für Büffel als eine schwere finanzielle Belastung bezeichnete.

    Unterschiede wird es sicherlich bei den Beerdigungen geben. Aber Unterschiede wirds wohl auch bei den Leuten geben, die davon berichten. Ich kenne genügend Leute, die alles so aufpauschen. Ich finde, gerade Reiseberichte muss man in dieser Hinsicht sehr sorgfältig lesen.

    1. Author

      So wie mir das berichtet wurde, ist das mit dem sauberen Schnitt nur eben selten der Fall. Du hast schon Recht, in vielen Berichten wird übertrieben. Nur fand ich diese sehr achtlose Art, mit Tieren umzugehen, in vielen Dingen sichtbar. Die Schweine, die in ihren Fesseln nicht auf den Boden gelegt, sondern geschmissen werden. Die Hausaffen, die ihr Leben lang an 20 cm langen Ketten im Vorgarten sitzen, um Kinder zu bespaßen. Die dünnen Bromo Ponies, die fette Touristen auf Vulkane tragen müssen. Mich macht sowas rasend. Und es waren alles Dinge, nach denen es mir nicht mehr schwer fiel, zu glauben, dass sich die Büffel eine Weile quälen, bevor sie sterben.

  6. Das mit dem sauberen Schnitt kann ich nicht beurteilen. Ich sah nur zwei Tötungen. Die erste mit einem sauberen Schnitt, bei der zweiten misslang das. Das legt ja bereits nahe, dass unsaubere Schnitte nicht so ganz selten sein können. Bei den anderen Beispielen gebe ich dir vollumfänglich recht. Ich habe mich da teilweise auch gefragt, was sich die Leute überlegen.

    Was ich aber nicht glaube, ist, dass die Leute eine saddistische Lust auf Quälen verspüren, wie du das bei deinem Argument mit der Tribüne mitschwingen lassen hast. Ich denke, dass es sich in den meisten Fällen ganz einfach um Unachtsamkeit handelt. Das macht es für die Tiere natürlich nicht besser. Aber ich denke, dass sich dies mit einer besseren Bildung und einer stärkeren Entwicklung verbessert.

    Ich habe das in China mitverfolgen können: Als ich 2000 das erste Mal durch das Reich der Mitte reiste, sind Tiere sehr schlecht behandelt worden. Heute ist das zumindest in den Städten nicht mehr so schlimm.

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