Wenn ich abends in Benito Juarez, einem winzigen Dorf an der Laguna de Catemaco ins Bett gehe, höre ich um mich die Geräusche eines Kettensägenmassakers. Nur dass hier keiner durchgesägt wird, sondern winzige Käfer im Busch sitzen, die das Organ mehrerer Sägen haben. Es gibt auch noch andere, die eher wie Sirenen klingen. Und die Hühner, die Geräusche von sich geben, als würde ihr rechter Flügel zersägt. Der Hahn, der gern schon gegen Mitternacht kräht. Und die Kakerlaken, die diesen hohen Quietschton von sich geben, wie an den Stellen im Horrorfilm, wenn der Mörder kommt.
Ganz schön viel Lärm für ein Dorf, in dem wenige Hundert Menschen wohnen.
Es ist mir irgendwann wirklich gelungen, dazu einzuschlafen (erst, als ich mich versichert hatte, dass das Moskitonetz kakerlakensicher unter die Matratze gestopft war).
So gut, dass ich es manchmal sogar früh morgens aus dem Bett geschafft habe.
Dann ist die beste Zeit, um Tukanen und Affen zu begegnen. Um bunt glitzernde Käfer, winzige Frösche und Gürteltiere zu beobachten.
In einer grünen Hügellandschaft, in der die ersten Sonnenstrahlen das Tau zum Glitzern bringen.
Benito Juarez ist so untouristisch, dass es hier nichtmal Hotels gibt. Wer hier Urlaub macht, wohnt in Gastfamilien. Man wohnt im Zimmer der Kinder, die schon ausgezogen sind. Und wird mit Gemüse aus dem eigenen Garten bekocht. Bei so viel mexikanischer Gastfreundschaft, dass man sich nur wohlfühlen kann.
Als meine Gastmutter erfährt, dass ich Vegetarierin bin, fährt sie nach Catemaco und kauft Soja. Als sie sieht, wie ich mit einem Sack Äpfel nach Hause komme, steht jeden Morgen Obst auf dem Frühstückstisch. Wenn es zweimal hintereinander Zitronensaft gibt, entschuldigt sie sich, wir können sicher keine Zitrone mehr sehen, morgen habe sie wieder Melone da.
Sie ist das perfekte Beispiel mexikanischer Liebenswürdigkeit; zurückhaltend, freundlich, bescheiden, etwas unsicher. Erst nach zwei Tagen Zurückhaltung fängt sie an, zu erzählen. Von den extremen Regenfällen, die es hier manchmal gibt. Dass man dann das Haus für Tage nicht verlassen kann. Von ihren Kindern, die alle in die nächste große Stadt gezogen sind. Von den Jugendlichen aus dem Dorf, die alle nach Nordmexiko gehen. Weil sie nur dort Arbeit finden, in den Fabriken der maquiladoras, mit den landesweit schlechtesten Arbeitsbedingungen. Und sie fängt an zu fragen. Was man in Deutschland isst, wie unsere Gärten aussehen, unser Wald, unsere Blumen. Ob wir Hunde haben und ob wir ihnen Namen geben. Wie es ist, zu fliegen. Ob man in Flugzeugen Essen bekommt und ob es dort Toiletten gibt?
Benito Juarez ist eine andere Welt. Keine befestigten Straßen, kein Internet, kein Telefonempfang. Nur viermal am Tag ein Pickup, der eine Stunde über Huckelpisten nach Catemaco fährt. Dafür ein See, viel Grün, Dschungel, Wasserfälle und Wolken von Schmetterlingen. Hier macht eigentlich niemand Urlaub, die meisten kommen für Freiwilligenarbeit. Im Dorf hat sich eine Organisation gebildet, die Ökotourismus als Verdienstalternative zur Regenwaldabholzung aufbauen will. Auch wir sind hier, um den Guides Englisch beizubringen, das sie für internationale Touristen brauchen. Um Hütten zu streichen, Pfade zu den Wasserfällen anzulegen.
Aber so gut die Idee in der Theorie ist, die Dorfbewohner sind skeptisch. Zu den Englischkursen für Guides kommt niemand, alle sind zu sehr mit der Pfefferernte beschäftigt. Viele vertrauen lieber auf das, was sich für sie seit Jahren bewährt hat. Landwirtschaftliche Arbeit ernährt ihre Familien. Englisch lernen zum Touristen herumführen ist etwas, was gerade die Älteren nicht mehr glauben, lernen zu können.
So konzentrieren wir uns auf Ferienkurse für Kinder, die sich jeden Morgen riesig freuen, uns zu sehen. Wenn wir Müll einsammeln, der hier auf den Wegen liegt, sind es die Dorfbewohner selbst, die ihn im Vorbeifahren aus dem Autofenster schmeißen. Umweltbewusstsein scheint etwas zu sein, das sich sehr langsam entwickelt.
Vielleicht müssen erst mehr Touristen kommen, vielleicht muss sich erst zeigen, dass sich Ökotourismus finanziell lohnt. Ein paar Pfade zu den Wasserfällen gibt es schon, ein paar gute Guides, die gern Gruppen dort hinführen auch (wenn auch nicht englischsprachig). Falls du in Mexiko unterwegs bist, schau vorbei, es lohnt sich. Infos bekommst du bei der Organisation ANOLIS. Das hier waren meine Ausflugshighlights:
1) Wasserfälle Poza Reinas: Mehrere türkisblaue Pools, die durch Wasserfälle miteinander verbunden sind. Von Benito Juarez führt ein landschaftlich sehr sehenswerter Wanderweg hin. Allerdings musst du gut zu Fuß sein und mehrere Stunden wandern können. Wenn dir nicht nach Wandern ist, miete dir einen Pick-up, damit kommt bis auf den letzen Kilometer an den Wasserfall. Kurz vor dem Wasserfall kommst du an den Steinzeichnungen der Olmecas vorbei.
2) Bootsfahrt auf der Laguna de Catemaco. Hier kannst du mehrere Programmpunkte anfahren. Mein liebster war die Insel der fetten Affen. Irgendwer hat sie mal hier ausgesetzt, sie haben sich vermehrt und alles gefuttert, was die Bäume hergaben. Das Ergebnis: extremste Adipositas. Die Lagune hat außerdem mineralischen Schlamm, mit dem man sich Gesichtsmasken machen kann. Du kannst bei den Schamanen aussteigen, an den Schnorchelhotspots, wo es die meisten Fische gibt oder dich zu den Krokodilen fahren lassen.
3) Der Markt in Catemaco: Wenn Mexikaner Catemaco hören, fallen ihnen zuerst die „brujos“ ein, die Zauberer. Sie versammeln sich zwar nur einmal im Jahr (1.März) hier am See. Trotzdem finden das ganze Jahr über auf dem Markt die „limpias“, Reinigung von bösen Geistern und Gedanken statt. Eine Reinigung kostet etwa 170 Pesos (10 Euro), dir werden verschiedene Kräuter, Gemüsesorten, vor allem aber Eier auf den Körper gelegt. Zum Ende der Reinigung werden sie aufgeschlagen, sie sind innen schwarz, was bedeutet, dass alles Schlechte aus dir in die Eier gewandert ist. Aber auch so ist der Markt sehenswert, voller religiöser Gegenstände, Heilkräuter und Zauberutensilien.
Hinkommen: Ab Mexiko-Stadt mit ADO vom Busterminal TAPO für 650 Pesos (ca. 38 Euro) nach Catemaco (8-10 Stunden Fahrt). Danach Umsteigen in einen Pickup (wird hier Pirata genannt) und für 20 Pesos (1,20 Euro) weiter nach Benito Juarez (1 Stunde Fahrt).
Mein Video zum Freiwilligenprojekt findest du hier.
Comments
love it love it love it! das huhn!!! ach.
Danke, meine Liebe! Das Huhn im Bad hab ich gar nicht mehr erwähnt, wird direkt nachgetragen…
Oh mein Gott sind das schöne Fotos :) Sieht nach einem tollen Ort aus!!
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Wunderschöne Fotos, die direkt das Reisefieber wecken. Wo hast du die kleine Schildkröte entdeckt?
Sieht nach einem wunderschönen Ort aus.
Danke, die Schildkröte saß einfach da, am Ufer des Sees in Benito Juarez, das war einfach Glück :)
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Wirklich wunderschöne Bilder! Wo genau hast du dort freiwillig gearbeitet?
Danke liebe Lena! Schau mal hier: https://ecoturismoveracruzanolis.wordpress.com
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Dieser Ort hat so viel Aufregung in mir erweckt, wie hast du dich für dieses Projekt „angemeldet“ ohne spanisch zu können? Ich würde sehr gerne dort hin. Unglaubliche Fotos!
Dieser Ort hat in mir einfach nur Aufregung und Motivation erweckt, er hat mich inspiriert. Ich würde so gerne auch für diese 2 Wochen an diesem Projekt teilnehmen, nur sieht das alles erstmal so erschreckend und verwirrend aus, die ganze Website ist auf spanisch, wovon ich leider noch kein Wort verstehe. Kannst du mir vielleicht erklären wie genau man sich dort anmeldet und wie kurzfristig das geht? Ich wäre die sehr dankbar!
Liebe Jessi,
ohne Spanisch macht das Projekt leider tatsächlich nicht so viel Sinn. Vor Ort spricht kaum jemand Englisch und ich hab mich direkt im Dorf immer nur auf Spanisch verständigt. Du kannst es natürlich versuchen, aber ich glaube, es wäre schade um viele gute Gespräche und Einsichten, die man sonst mit den Locals hat.
Vielleicht wäre ein Sprachkurs eine Überlegung wert? Den könntest du auch direkt in Mexiko machen. Wenn du nur einen kurzen Trip planst, gibt es in Benito Juarez auch ein Hostel, da wird Englisch gesprochen.
Liebe Grüße und viel Glück bei allem, was du planst,
Caroline