Lieber Schutzengel,
manchmal glaube ich, du hast ein ganz schön schweres Los, gerade auf mich aufzupassen. Du hast mich auf der ganzen Welt begleitet, und sehr gute Arbeit geleistet, ich bin immer heile wieder gekommen.
Wie oft bist du mit mir durch dunkle berüchtigte Gassen gelaufen, in denen Stunden vorher Menschen mit Backsteinen erschlagen wurden. Wie oft musstest du mit mir in mistigen Bussen fahren, die in jeder Kurve zu nah gen Abhang rollten. Vielleicht hast du oft geflucht, wie naiv ich bin. Aber ich hoffe, du hast hin und wieder trotzdem den Fahrtwind um die Nase genießen können und den Geruch von Sommer? Vielleicht wäre es dir viel zu langweilig geworden, jeden Tag mit mir in ein Büro zu fliegen, vielleicht deprimiert dich der Anblick von aufgeräumten Schreibtischen, der Geruch von Kantinenessen genau wie mich? Vielleicht wurdest du als mein Schutzengel ausgesucht, weil wir gut zusammenpassen?
Ich weiß, dass du da bist, weil du mich mit einer Genauigkeit zu den richtigen Menschen geführt hast, die es schwer macht, nicht an dich zu glauben. Und vielleicht hatte ich auch mehrere Schutzengel? Die Englischlehrerin, die für mich übersetzte, als ich mit dem falschen Zug ins indische Hinterland fuhr, wo alle nur Hindi sprachen? Die mich davor bewahrte, dass der Schaffner mich im Nichts rausschmiss, weil ich das falsche Ticket hatte. Die Frau, die mich auf Java in ihrem Haus schlafen ließ, weil ich die Fahrtzeit des Bus unterschätzt hatte und es Nacht wurde, bevor ich die Stadt erreichte. Der alte Mann am argentinischen Busbahnhof, der mir sein Taschentuch schenkte, als er mich weinend dasitzen sah (ich hatte meinen Anschluss verpasst und musste die Nacht dort verbringen). Der meine Hand hielt, bis sie nicht mehr zitterte.
Lieber Schutzengel, vielleicht bist du auch das erhebende Gefühl, etwas gewagt zu haben, mein Lächeln und Glücksgefühl, das sich auf Reisen oft um mich legt wie ein Schutzmantel.
Ich begebe mich in Gefahr, weil ich so oft dafür belohnt wurde, mit so vielen kleinen Wundern, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ich finde Blumen, die wie Duschköpfe aussehen. Oder einen Baby Papagei im Obstregal. Einen Spatzen, der meine Kaffeemilch trinkt. Oder das Lächeln eines Kleinkinds und mein eigenes Grinsen danach, das so schnell nicht mehr weggeht. Wir sind sozusagen Schatzsucher, Schutzengel. Dazu braucht es ein bisschen Mut.
Wer immer du auch warst und bist, am meisten habe ich dich gebraucht, um mich vor meiner eigenen Angst zu schützen. Denn auch sie begleitet mich. Sie fragt leise an, ob ich nicht doch ein bisschen einsam bin, wenn ich immer so allein durch die Welt ziehe. Ob ich meine Zeit verschwende, ob es nicht sinnvollere Dinge gäbe, als in alten Bussen durch Schlaglöcher zu fahren. Sie erinnert mich an Dinge, die ich nicht gut kann. An die Anderen, die schon so viel mehr erreicht haben als ich. An meine eigene Mittelmäßigkeit. Sie weiß, dass das mein schwächster Punkt ist. Sie tarnt sich als Zweifel und Vernunftsdenken und lässt mich in den Schritten straucheln, die ich tun muss, um meinen Träumen näher zu kommen. Ich darf ihr nicht zuhören. Es ist vergleichbar mit der Sekunde, bevor man von einer Klippe ins Wasser springt. Sobald du stehenbleibst und nachdenkst, hat die Angst gewonnen.
Lieber Schutzengel, bitte schütze mich vor dieser Angst und vor dem Glauben an das Schlechte im Menschen. Auch Misstrauen ist eine Form von Angst. Ich bin lieber ein bisschen naiv.
Comments
<3
<3
<3
…mehr erreicht als du? liebe caroline, du hast schätze, die dir keiner nehmen kann.
liebe grüße
bettina
Liebe Bettina, da hast du sehr Recht, ich darf nur den Leuten nicht zu lange zuhören, die Geld wichtiger finden als die Schätze, von denen ich rede. Jeder hat wohl seine eigene Vorstellung von Reichtum
Hallo, liebe Caroline, wie schön, diesen Schutzengel- Brief von Dir zu lesen. Ja, es ist immer ein großer Schritt,sich ins Unbekannte zu wagen ; aber nur so bleibt man lebendig mit all seinen Sinnen.Und das Vertrauen wächst…. :-)
Ich wünsche Dir für das neue Jahr viele bewegende Augenblicke auf Deinen Reisen,den Mut, Dir selbst treu zu bleiben und ein breites Lächeln, das immer wieder auf Deine Lippen huscht !
Und viele schöne und innige Momente mit Deinem Schutzengel… :-)
Herzlichst !
Katrin
Vielen Dank, liebe Katrin! Bis jetzt hab ich ihn mir ja immer zusammen sammeln können, den Mut. Auch dir ein Jahr voll Lachen und Glücksmomenten und Mut und vielen neuen Ideen!
Liebe Caroline, es berührt mich, wie bewusst Dir ist, dass Du nicht allein auf Reisen bist, dass Du die höhere Macht spüren kannst, die Dich überall hin begleitet. „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet schläft noch schlummert nicht“. Magst Du weiter mit diesen Psalmworten ein Gespür auf Deinen Reisen haben, das Dich die Grenze zwischen Leichtsinn und Mut immer klar erkennen lässt!
Alles Gute und Gottes Segen auf allen Deinen Wegen ; ) wünscht Dir
Reinhilde
Danke, liebe Reinhilde!
wunderschoene Gedanken! Ich fuehle aehnlich. Ganz liebe Gruesse, Oleander
Danke Oleander, für ein weiteres Aufatmen, dass ich damit nicht alleine bin.
Love this entry.
I don’t think anyone would ever describe you as mittelmäßig. On the contrary – your thoughts like these just prove how special you are.
x Sibylle
Thank you Sibylle, love to hear that from you
Liebe Caroline,
das ist wirklich einer der schönsten Texte, die ich je gelesen hab!!! Wirklich… Da fehlen mir die Worte!!
Ganz liebe Grüße
Melanie
Hallo Melanie,
vielen vielen lieben Dank!
Caroline
Wunderbarer Blog, ich hab nahezu alles gelesen und angesehen in den letzten Stunden. Dazwischen war ich immer wieder sehr gerührt. Du hast doch so viel erreicht in deinem Inneren und dir die Welt angeeignet. Sehr beeindruckend! Alles Liebe, Karo
Liebe Karoline, danke für deine lieben Worte! Ich freu mich sehr, dass du mich hier gefunden hast! Viele liebe Grüße, Caroline
Hi,
bin auf deine Webseite gekommen, nach dem ich zwei Tage vor meiner Reise nach Mittelamerika und Südamerika kurz bei der Webseite von auswärtigen Amt vorbeigeschaut habe und seit dem versuche meine Panik zu unterdrücken.
Ich werde auch alleine unterwegs sein, zumindest starte ich allein.
Bis jetzt habe ich nie recht Reiseberichte von Frauen alleine gefunden, sondern nur von welchen die noch einen Reisepartner hatten.
Um so mehr beruhigen mich deine Berichte, dass ich doch wieder lebendig heimkommen und mich nicht übernehme, wenn ich vier Monate alleine durch die Gegend reise :)
Deine Texte sind echt super geschrieben und machen Lust, selbst was zu erleben :)
Liebe Grüße
Veronika
Hallo Veronika,
ich bin mir ganz sicher, das wird toll! Aber ich kenn das mulmige Gefühl vor der Abreise. Es lohnt sich, ihm nicht zu viel Raum zu geben und sich zu trauen. Wenn du in Mittelamerika startest, wirst du auf jeden Fall ganz viele andere Reisende treffen.
Liebe Grüße und happy travels!
Caroline