„Warum war ich eigentlich noch nie richtig in Österreich?“ frage ich mich, als Kärntens tiefe Bergschluchten am Zugfenster vorbeiziehen.
Wir fahren gerade über eine dieser Viadukt-Brücken, die man aus Reise-Hochglanzmagazinen kennt. Unter mir liegt eine Wolkendecke, die langsam aufreißt, um Sonnenstrahlen Platz zu lassen. Riesige Nadelbäume strecken ihre säuberlich aufgereihten Wipfel dem Himmel entgegen.
Österreich war mir früher immer zu Deutschland-ähnlich, zu beschaulich, zu ruhig. Ich wollte die entlegensten Kulturkreise und die exotischsten Winkel.

Inzwischen finde ich es anstrengend, mit afrikanischen Bussen in Wüsten Pannen zu haben. Während der Fahrt mindestens 5 fremde, schwitzende Menschen gleichzeitig zu berühren. Denn jeder Bus ist immer überladen und direkter Hautkontakt sicher.
Inzwischen ist Ruhe genau das, was ich suche.
Jetzt fahre ich durch Kärnten. Karibisch blaue Seen begrüßen mich, Greifvögel kreisen am Himmel, auf Blumenwiesen weiden Kühe.
Das Beste ist; ich kann es mir alles ungestört anschauen, denn keiner in meinem Abteil redet (Ein Hoch auf die Ruheabteile der ÖBB und DB).

Wenn man nach Kärnten fährt, hat Reisen etwas von Meditation.
In Kärnten ist ein Begriff für genau diese beschauliche Art des Reisens entstanden: Slow Travel. Hier wird sich für alles Zeit genommen: Wandern passiert im langsamen Tempo, Essen wird genossen statt heruntergeschlungen. Schon die Essenszubereitung (Slow Food) darf hier Zeit in Anspruch nehmen.
Was für eine großartige Philosophie. Ich hab noch nie verstanden, warum man eine Landschaft, für die man gerade extra angereist ist, möglichst schnell wieder hinter sich lassen will.
Ich erlebe hier viele besondere Ruhe-Momente, dieses „Der beste Ort ist Hier und Jetzt“-Gefühl. Warum soll ich direkt wieder woanders hin, ich bin doch schon hier.

Trotzdem fehlt mir auch der Abenteuer – Aspekt nicht. Den bekomme ich in Form von weit in den Himmel ragenden Bergwipfeln und steilen Pfaden, die erklettert werden wollen.
Für Flachlandmenschen wie mich, denen hier alles neu ist, wäre es viel zu schade, diese Landschaft nur zu durchfahren. Außerdem macht mich die Höhenluft ganz platt und ich bin unendlich dankbar um langsames Wandertempo.
Wer hier wandert, der findet Heilkräuter und sonderbare Pflanzen, kann frisches Quellwasser aus Flüssen trinken und freilaufenden Bergkühen begegnen.
Wer mehr Adrenalin braucht als ich, der kann auch Klettern, Downhillbiken oder Paragliden gehen.
Wanderglück auf der Turracher Höhe

In den Nockbergen liegt ein Hochmoor, das die unglaublichsten Erscheinungen hervorbringt. Wollgras, das auf jedem seiner Stängel einen kleinen Haarschopf trägt. Pflanzen namens Sonnentau und Mehlprimmel und sogar Pflanzen die Tiere jagen. (Auf pflanzenfrau.de habe ich mehr dazu geschrieben)
Zirben – Zauber in den Nockbergen

Hier wachsen auch die berühmten Zirben, deren Holz schlaffördernd und beruhigend wirkt.
Zirbenstuben sind die traditionelle Behausung der Menschen in Kärnten. Es war lange ein Rätsel, warum sie bis ins hohe Alter so fit blieben. Inzwischen ist bewiesen, dass es an der Zirbe liegt.
Vielleicht ist es aber auch ein bisschen der Heuschnaps, der seinen Anteil daran hat.

In den Nockbergen treffe ich Franz Grubenbauer, der den Heuschnaps immer noch herstellt. Verteiben darf er ihn in Österreich nicht mehr. Irgendeine Behörde fand das Risiko, dass giftige Pflanzen mit verarbeitet sein könnten, zu groß und verbot den Schnaps.
Ein Jammer, denn Grubenbauers Almheu unterliegt strengen Qualitätskontrollen und ist in kleinen Mengen sehr gesund. Er enthält alle Inhaltsstoffe der Bergkräuter, die in diesen Höhenlagen besonders konzentriert sind. Alkohol ist eine alte Konservierungsmethode für diese Alpenmedizin, die den Bergbewohnern ihre Apotheke ersetzt.

Aber jetzt die gute Nachricht; nach Deutschland darf der Schnaps verkauft werden (Grubenbauers Almheu-Produkte gibt es hier).
Gelebte Tradition im Kräuterdorf Irschen
Ähnlich traditionell geht es im Kräuterdorf Irschen zu. Die Menschen hier sind stolz auf ihr uraltes Kräuterwissen und geben es von Generation zu Generation weiter.

Auch zu Zeiten, als Naturheilmittel gar nicht en vogue waren, wurden sie hier weiter genutzt.
Das Dorf hat mehrere Kräutergärten und stellt daraus Tee, Tinkturen und viele andere heilsame Produkte her. Ernte, Verarbeitung und Verkauf beschäftigt die meisten Dorfbewohner. So ist niemand gezwungen, in die Stadt abzuwandern.

Im Sommer reicht ein Spaziergang durch Irschen, um völlig im Duft- und Farbrausch zu sein. Überall blüht, brummt und duftet es. Man muss ständig stehen bleiben, um Blüten zu bewundern. Das Schönste aber ist; sie alle sind heilsam.

Slow Food als Lebenseinstellung
Slow Food wird manchmal als neuer Trend bezeichnet. Dabei ist es eigentlich nur die Rückkehr zur Normalität. Wir sind nicht für Fast Food erschaffen, sondern brauchen echte Lebensmittel, die uns mit Nährstoffen versorgen.
Genau die gibt es in Kärnten.

Die Slow Food Bewegung entstand, als Fast Food und industrialisierte Nahrung die Welt komplett im Griff hatten. Slow Food will wieder Qualität, Freude und Vielfalt in unsere Nahrung bringen.
Das fängt mit dem Anbau der Nahrungspflanzen an und der läuft leider in den meisten Teilen der Welt völlig falsch. Damit Pflanzen Nährstoffe enthalten, brauchen sie gesunden Boden, um den man sich gut kümmern muss.
Außerdem braucht man alte, samenfeste Sorten. Sie sind angepasst an ihren heimischen Standort und können sich gegen Schädlinge verteidigen, ohne dass man Pestizide braucht.

In Kärnten treffe ich einen mutigen Bauern; er baut eine Pflanze an, die es fast nur noch in genmanipulierter Form gibt: Mais.
Sepp Brandstätter hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine sehr alte Maissorte zu retten. Den Ur-Mais sozusagen.
Er hat lange gebraucht, bis der Boden soweit wieder hergestellt war, um den Urmais wachsen zu lassen.
Sepp hat insgesamt 20 Jahre seines Lebens investiert, um ein wirklich gutes Lebensmittel herzustellen. Genau so entsteht Slow Food vom Feinsten.
In dieser Zeit ist aber ein Produkt entstanden, das es woanders nicht mehr gibt.

Unsere vom Fast Food träge gewordene Welt muss erst wieder lernen, wie wichtig Nahrung ist, die mit Ruhe und Liebe hergestellt wurde.
In Kärnten gibt es neben Sepp Brandstätter viele weitere Beispiele. Menschen, die echte Leidenschaft in Sachen Nahrungsmittel an den Tag legen.
Deshalb ist Kärnten auch für die Geschmacksnerven Erholung. Kärnten ist Heimat der echten Aromen, der Geschmacksknospen-Jubelmomente und der wirklich sonnengereiften Früchte.
Essbare Landschaften am Faaker See

Essen muss man gar nicht immer unbedingt anbauen, manchmal wächst es auch ganz von allein. Das beweist Barbara Wiegele, die mit mir in den Wald am Faaker See geht. Dort kann man nicht nur Essen, sondern sogar Kosmetik finden.

Wilde Kräuter bereichern Speiseplan und Hautpflegesortiment. Sie wachsen gratis, wurden nie gezüchtet und stecken voller Nährstoffe.
Wir ernten Blüten, Baumblätter und Kräuter und verarbeiten sie zu einem Pesto und einem wunderbar riechendem Haut-Öl.

Mit Mörser und Öl wird alles gemixt und abgefüllt. Manchmal ist es schon verrückt, dass es nur ein wenig Wald und Öl braucht, um satt zu werden. Wir bewegen uns jeden Tag durch eine essbare Landschaft, daran muss man sich hin und wieder erinnern.

Villach
Wer jetzt vor lauter Naturerlebnis mal wieder Stadt braucht, fährt weiter nach Villach. Die Stadt ist groß genug, um dort alles zu finden. Aber trotzdem klein genug, um seine Ruhe zu haben – beschaulich am Fluss gelegen und mit vielen pittoresken Fußgängerzonen.

Warum in die Ferne schweifen?
Östereich ist ein wunderbarer Beweis dafür, dass man sich Überseereisen auch mal sparen kann. Wirkliche Erholung für Körper und Geist findet man direkt nebenan.




Comments
So ging es mir früher auch, mit Deutschland, der Schweiz und Österreich. Hat mich alles nicht wirklich interessiert, war mir alles zu ähnlich, meinte es schon zu kennen, und wollte immer so weit wie möglich weg…Hach, wie schön, dass ich ebenfalls schon lange meine Meinung über alle 3 Länder geändert habe. Ich liebe die Natur in Österreich, einfach unbeschreiblich schön und idyllisch. Vor allem die vielen Kräuter, Wanderwege, Aussichten und und und…Könnte ewig weiter aufzählen.
Klasse, ausführlicher Artikel!
Liebe Grüße,
Lina von https://www.petitchapeau.de/
Danke Lina, dir weiter happy travels im eigenen und direkt-nebenan-Ländern!
Liebe Grüße aus Hamburg, Caroline
Würd ich meinen Mann lassen, wären wir längst nach Österreich gezogen.. aber ich hab auch immer das „weit weg“ Fieber. Mit deinen Fotos und deinen, wie immer, wundervollen Worten, muss jetzt aber doch wohl wieder mal ein Wanderurlaub auf die planungsliste.
Danke, liebe Mila! Ja, ein bisschen versteh ich deinen Mann, allerdings zieht es mich gerade im Winter auch immer noch weit weg, also ich versteh euch beide :)
Das wohl schönste Bundesland in Österreich.
Ich bin sehr gerne in Kärnten und wenn ich beruflich in dort bin dann genieße ich die Zeit so dermaßen :)
liebe grüße
Diese Landschaften faszinieren Millionen von Urlaubern
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