Liebe Nam Phun,
wenn ich eines Tages alt, blind und vergesslich werde, wird die Erinnerung daran, wie ich zum ersten Mal auf deinem Rücken saß, als eine der letzten verblassen. Daran, wie ich mich an deinem Ohr hochziehen darf, ohne dass du protestiert hättest. Wie du meine Füße ein bisschen mit deinem Vorderbein nachschiebst, um mir hoch zu helfen. Deine Borsten an meinen Beinen, die sich anfühlen, als würde jemand mit einem sehr harten Besen über meine Unterschenkel fegen. Deine Haut, die so hart ist, dass ich sie oft nicht von der Erde unterscheiden kann, in der du dich gewälzt hast.
Dieses Gefühl, als hätte sich die Welt unter mir um Lichtjahre entfernt. Auch wenn der Boden zwei Meter unter mir vorbeizieht, bin ich für nichts mehr erreichbar außer dem Geräusch deiner wackelnden Ohren. Das Schaukeln deiner Schritte und der Anblick deiner einzelnen Haare auf dem Hinterkopf wie vertrocknete Halme auf furchigem Grund. Manchmal zähle ich sie, es sind gar nicht viele, wie der Schädel einer Oma, als wäre dir der Großteil ausgefallen.
Ich streichel gerne über die hautfarbenen Punkte, die wie Konfetti über dein ganzes Ohr verteilt sind. Deine Ohren liegen in meinen Händen wie Fensterleder, mit dem man schon ein paar mal zu oft die Fenster geputzt hat, sodass sie schlaff und löchrig geworden sind.
Mich beschleicht ein sehr zärtliches Gefühl, wenn ich an die Haare an deiner Unterlippe denke oder an die Furchen deiner Haut, so tief, dass sie in der Morgensonne Schatten werfen.
Alles an dir sieht aus, als wärst du 1000 Jahre alt, als hättest du so viel erlebt, dass es für 5 Leben reichen würde und dass 3 Hirne es nicht behalten könnten.
Du bewegst dich so langsam, dass jedes Rollator Mütterchen spielend an dir vorbeiziehen könnte. Nur wenn ich mit einer Schubkarre Mangos bei dir vorfahre, wirst du etwas schneller.
Du könntest die Erde unter dir erzittern lassen, wenn du wolltest. Stattdessen rollst du deine weichen Füße geräuschlos im Staub ab, federst deine eigene Wucht, sodass sie niemanden erschreckt.
Selbst wenn meine thailändische Aussprache schlecht ist und meine Stimme manchmal etwas unsicher, hörst du auf meine Kommandos. Dabei bin ich doch so klein neben dir. Du reichst mir meine Schuhe nach, wenn ich sie auf dem Boden vergessen habe. Du lehnst dich gegen die Palme, bis ich die Kokosnuss erreiche, die ich pflücken will. Wenn ich in deinem Stall melonengroße Köddel wegschaufel, schaust du dich vor jedem Schritt, den du machst, nach mir um. Und das alles rührt mich zu Tränen.
Seit 3 Wochen kennen wir uns jetzt. 3 Wochen habe ich jeden Morgen Ananas und Bananenbäume für dich geerntet, einen ganzen Trecker voll. Du hast die komplette Ladung gefressen, als wärst du innen ganz hohl. Und bist dabei ein bisschen vor und zurück gewackelt, weil du dich gefreut hast.
Wir waren jeden Tag zusammen baden, jedes Mal bist du so tief ins Wasser gegangen, dass du mich mitgebadet hast. Über der Wasseroberfläche war nur noch ein Stück grauer Berg zu sehen und hin und wieder ein bisschen hochgepustetes Wasser. Ein Gefühl, als würde man auf einem Blauwal sitzen. Und das schönste der Welt.
Das Elefantencamp war meine Semesterferienbeschäftigung 2007. Die Organisation, bei der ich gearbeitet habe, hieß Wildlife Friends of Thailand. Man bezahlt dort Geld, um mitzuarbeiten aber ich finde, das ist eine sinnvolle Investition, bevor man auf Touristenelefanten reitet, die oft so grausam behandelt werden.
Update: Ich bekomme immer mal wieder Post von Tierschützern, die es unverantwortlich finden, auf Elefanten zu reiten.
Das Elefantencamp, in dem ich war, ist eine Art Gnadenhof für ehemalige Touristenelefanten. Wenn sie nicht mehr einsetzbar sind, werden sie normalerweise erschossen, denn es ist sehr teuer, einen Elefanten zu ernähren.
Ich befürworte kein touristisches Elefantenreiten, allerdings frage ich mich auch hier manchmal, warum es für Thais verboten sein soll, Touristen Ausritte auf Tieren anzubieten, für uns aber nicht.
Auch Pferde werden oft sehr brutal eingeritten und Dressur- oder Springreiten ist alles andere als artgerecht. Wer Elefantenreiten kritisiert, hat oft überhaupt kein Problem mit Reitsport auf Pferden.
Elefanten werden in Thailand oft zur Arbeit eingesetzt, sie sind für viele Einheimische Grundlage zum Geld verdienen.
Manchmal weiß ich einfach nicht, ob es nicht vielleicht nur einfacher ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen, als je die eigene Kultur zu hinterfragen.
Comments
Was für ein wunderbarer Liebesbrief – ich wünschte mir, ich könnte Nam Phun auch kennenlernen und bin froh, dass du ihn mit deinen Worten so eindrucksvoll beschrieben hast, so dass ich schon jetzt meine, ihn zu kennen.
Danke, liebe Uschi! Und schön, dass ich ein bisschen von Nam Phuns Wesen, das mich so beeindruckt hat, weitergeben konnte.
Pingback: Brief an einen Elefanten. « Bedouin Writer – Reiseblog
Oh, ein herziger Liebesbrief! Jetzt möchte ich das auch machen: auf einem Elefanten reiten. Auch wenn ich es bisher schon ein Highlight fand, die süssen Dickhäuter in Tansania „nur“ zu beobachten :-)
http://alongsunnymoon.blogspot.com/
Danke, liebe Nina! Wunderschöner Blog, den ihr da habt, mit Wahnsinnsfotos. Und Elefantengucken steht Elefantenreiten ja in nichts nach :)
gerade über Deinen schönen Brief gestolpert, gerührt und beeindruckt
und ein: “ oooochhhh, das möcht ich auch mal gerne erleben!“
Danke, das freut mich sehr zu hören. Ich kann´s sehr empfehlen, selbst hinzufahren, du könntest viele neue Geschichten mitnehmen
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Wunderschöner Post. Hat mich tatsächlich zu Tränen gerührt.
Liebe Janine, oh vielen Dank für so ein schönes Kompliment
Einen schönen guten Morgen,
dieser rührende Liebesbrief hat mir beim Kaffee ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Es ist wunderschön zu lesen, dass einmal so große majestätische Tiere so ein gutes Herz haben. Und dass Du als Autorin des Briefes das wert schätzt und erkennst, wieviel Güte in den Tieren steckt – die ja auch ganz anders könnten – wenn sie denn überhaupt so wollten.
Viele Grüße aus Asien
Liebe Sabine,
danke für so ein schönes Kompliment, ich freu mich sehr! Ich schicke die liebe Grüße nach Asien, an so grauen Tagen vermisse ich es sehr und bin immer kurz davor, einen Flug zu buchen :)
Pingback: Wieso ich nicht in Zoos und Delfinarien gehe
Bin gerade durch Zufall auf deine Seite gestoßen. Wirklich sehr toll geschrieben!
Ich reise demnächst nach Thailand, dann kam mir die Idee mit der Freiwilligenarbeit mit Elefanten. Hattest du nur online Kontakt mit „Wildlife Friends“? Viele Grüße
Vielen Dank! Genau, das lief alles online, aber völlig problemlos. Liebe Grüße
Ich kann’s kaum glauben, ich war 2005 auch bei Edwin im Camp und Nam Phun war ebenfalls „mein“ Elefant, um den ich mich 3 Wochen lang kümmern durfte.
Damals waren insgesamt 4 Elefanten da, Nam Phun war aber die freundlichste von allen und es war eine wunderschöne Zeit, die ich dort verbringen durfte… Schön, dass Du mich so lebhaft daran erinnert hast.
Hey Anna! Wie cool ist das denn?! :D Das hätte ich wirklich null erwartet, dass jemand hier Nam Thun kennt, wow! Wie schön, dass du mich verstehst :)